Die Arbeit ist zu viel, erdrückend, nicht mehr zu bewältigen. Die Folge: Burnout! Daniela König ist IV-Coach bei FAU und begleitet Betroffene zurück in den Arbeitsmarkt. Die erfahrene Psychotherapeutin weiss: Eine Rückkehr in die Arbeitswelt ist durchaus realistisch, aber bedarf auch einer Veränderung im Leben.

Daniela König begleitet Burnout-Betroffene zurück in die Arbeitswelt.

FAU-IV-Coach Daniela König kennt die vielen Facetten eines Burnouts.

Interview MATTHIAS MÜLLER
Foto SIMONE GLOOR

Wann kommen Sie persönlich an den Anschlag?
DANIELA KÖNIG: Wenn bei der Arbeit sehr viel läuft. Bei mir bedeutet viel laufen, dass ich viele Teilnehmende habe, die ich betreue. Wenn dabei bei den Teilnehmenden viel geschieht und Emotionen hochkommen, arbeitet das in mir. Wenn ich gleichzeitig in meinem privaten Leben noch sehr präsent sein muss und dies alles auf einmal zusammenkommt, dann kann es ab und zu vorkommen, dass mir dies etwas zu viel wird.

Was tun Sie, wenn Sie merken, dass es Ihnen zu viel wird?
Wenn es mir zu viel wird, habe ich ganz gute Tools, die ich persönlich anwenden kann. Die kenne ich, da ich Psychologie studiert habe und auch, weil ich selbst Unterstützung in einer Psychotherapie fand, um herauszufinden, wo meine Grenzen sind. Da hilft sehr oft einfach das Atmen: Ich konzentriere mich auf meinen Atem und atme einfach mal tief durch oder zähle auf zehn. Das hört sich ganz einfach an, aber der Atem ist ja etwas Wunderbares, den wir immer mit dabeihaben. Wenn Stress oder ganz viele Emotionen aufkommen, dann fangen die meisten Leute an, ganz flach zu atmen und kommen so automatisch in die Nähe einer Kurzatmigkeit. Wenn ich in einer solchen Situation einen tiefen Atemzug mache, kreiere ich mit meinem bewussten Atmen in meinem Körper Platz. So spüre ich, dass ich auch klarer denken kann. Denn dadurch, dass ich einen Atemzug mache, lasse ich meine Gedanken langsamer werden und schaffe Platz, um klarer zu denken.

Wie definieren Sie ein Burnout?
Burnout kommt vom englischen «to burn out», also ausbrennen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnet dies als emotionalen, geistigen und körperlichen Erschöpfungszustand. Oft bezieht man dies einfach auf den Arbeitsplatz. Aber ein Burnout kann überall passieren, auch im persönlichen Bereich. Auch jemand, der nicht arbeitet, kann ein Burnout bekommen, wenn sie oder er zum Beispiel zu ganz vielen Menschen schauen muss. Bei der Arbeit ist die Ursache ein Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet werden kann. Bei den meisten Betroffenen, die ich betreue, bemerke ich, dass dort auch gleichzeitig im Privatleben Dinge geschehen, die Stress erzeugen – man kann nicht nur Arbeitsmensch sein oder nur Privatmensch. Meistens finden sich auch im Privatleben Dinge, die Stress verursachen, und dieser Stress im Privaten kann in die Arbeit überschwappen oder umgekehrt. Ein Burnout ist eine Überlastung, die Betroffene nicht verarbeiten können.

Was sind die Anzeichen oder Symptome für ein Burnout?
Da ist zuerst ein Gefühl von Erschöpfung. Eine geistige Distanz oder eine negative Haltung zum Job kann auch vorkommen sowie eine Verringerung des Leistungsver­mögens im Beruf. Auch Schlaflosigkeit oder Appetitlosigkeit können sich einstellen. Auch zu viel schlafen kann vorkommen. Körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen oder Verdauungsprobleme können damit einhergehen. Herzklopfen kommt sehr oft vor, auch eine flache Atmung oder Kurzatmigkeit. Das sind die Hauptsymptome. Psychische Symptome sind eine innere Leere oder ein sinkendes Selbstvertrauen. Auch eine stärkere Verletzlichkeit, dass man dünnhäutiger wird und das Gefühl hat, dass man gar nicht mehr mit Stress umgehen kann. Sogar kleine Aufgaben können überfordern. Abnehmende Arbeitszufriedenheit kann auch ein Symptom sein, und auch eine Depression kann auf ein Burnout hinweisen. Für sich allein stehend, deuten diese Symptome noch nicht auf ein Burnout hin, aber wenn mehrere zusammenkommen, kann dies ein deutlicher Hinweis sein.

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«Auch jemand, der nicht arbeitet, kann ein Burnout bekommen.»

Daniela König, IV-Coach bei FAU

Können diese Anzeichen für ein Burnout frühzeitig erkannt werden?
Nach meiner Erfahrung geht es bei einem Burnout sehr oft um Abgrenzung. Wenn viel Stress vorhanden ist oder es zu viel wird, wird eine Abgrenzung immer wichtiger. Die Frage ist: Kann ich mich abgrenzen und die Arbeit bei der Arbeit lassen und nicht nach Hause nehmen, oder kann ich das, was zu Hause passiert, dort lassen und nicht zur Arbeit mitnehmen? Sich abgrenzen lernen wir nicht in der Schule wie Mathematik oder Deutsch. Sehr oft lernt man in der Schule nicht, wie man mit seiner psychischen Gesundheit umgeht, wie man lernt, sich abzugrenzen. Manche Menschen lernen dies ganz gut zu Hause. Andere lernen dies aber nicht selbständig. Wenn ich mich über längere Zeit zu gestresst fühle, ist das ein guter Indikator, um hinzuschauen. Leider haben viele Burnout-Betroffene nicht die Möglichkeit oder das Wissen, Grenzen zu setzen. Sie fühlen nicht, was sie benötigen, wie es ihnen geht, wie sie sich im Moment fühlen. Das kann dazu führen, in ein Burnout zu rutschen. Viele meiner Teilnehmenden sagen, nachdem sie im Coaching oder in der Psychotherapie waren, sie hätten das Problem vielleicht eher erkannt, wenn sie gewusst hätten, was sie jetzt wissen.

Wo sehen Sie die Risikofaktoren oder Hauptursachen eines Burnouts?
Die Risikofaktoren teilen sich in innere und äussere Fak­toren. Innere Risikofaktoren können sein, sich nicht abgrenzen zu können, zu hohe Ansprüche oder Erwar­tungen an sich selbst oder seine Aufgabe zu haben, Per­fektionismus. Zudem können Zweifel an sich oder dem Sinn der Arbeit oder Zweifel an der eigenen Handlungs­fähigkeit ein Faktor sein. Ein weiterer möglicher Faktor: schlecht nein sagen können. Äussere Risikofaktoren sind Arbeitsüberlastung über eine längere Zeit, fehlende Anerkennung, wenig Ver­antwortung für eigene Aufgaben, Ungerechtigkeit und psychischer Druck. Erschwerend können Kündigungen im Arbeitsteam oder Ausfälle aus gesundheitlichen Grün­den hinzukommen, die nicht sofort ersetzt werden und so zu einer höheren Arbeitslast für die anderen führen kön­nen. Auch Mobbing kann zu einem Burnout führen.

Kann ein Burnout auch im privaten Umfeld überwunden werden, oder hilft ab einem gewissen Punkt nur noch professionelle Beratung?
Zu Beginn können Betroffene bestimmt auch im persön­lichen Umfeld Hilfe erhalten, durch Zuhören und mit Ratschlägen. Ein soziales Netz ist sehr wichtig, natürlich auch Bewegung und Sport. Das hat aber auch Grenzen. Wenn Betroffene ohne steten Austausch nicht mehr aus­kommen und so die Beziehung oder Freundschaft zu sehr belasten, sollten Betroffene professionellen Rat suchen. Ich persönlich empfehle, sich lieber früher als zu spät professionelle Hilfe zu holen. Eine persönliche Beziehung oder Freundschaft beruht immer auf Gegenseitigkeit, mit einem Coach oder Psycho­logen dagegen können Betroffene einen Raum nur für sich allein gestalten. Das kann sehr hilfreich sein. Kommt dazu, dass ein Psychologe oder eine Psychologin eine ande­re Perspektive einnehmen und das ganze Bild betrachten kann. Allfällige frühere Ereignisse können sie erkennen, die zum Burnout geführt haben. Zudem verfügen die Fachleute über viele gute Tipps und Ratschläge und kön­nen gezielt unterstützen.

Was kann ich tun, wenn ich der Meinung bin, jemand in meinem Umfeld könnte von einem Burnout betroffen sein?
Wenn der oder die Betroffene jemand ist, mit dem man ein enges Vertrauensverhältnis pflegt, kann man die Person durchaus sachte darauf hinweisen, dass man glaubt zu spüren, dass die Person an den Anschlag kommt. Zudem könnte man darauf aufmerksam machen, dass die betroffene Person mit einem Coach darüber sprechen oder psychologische beziehungsweise ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen könnte.

Wie gehen Sie bei Ihrer Tätigkeit als IV-Coach bei FAU vor, wenn eine Person mit einem Burnout zu Ihnen kommt?
Ich beginne zuallererst damit, eine Beziehung als Coach mit dem Teilnehmenden aufzubauen. Da geht es darum, die Person kennenzulernen. Da ist zuerst das Gespräch, aber wir setzen auch weitere Tools ein. Die Teilnehmenden erstellen Biografien und eine Ressourcenplanung. Zusammen analysieren wir ihre beruflichen Erfahrungen. Was hat ihm oder ihr bei verschiedenen Arbeitgebern zugesagt, was hat ihm oder ihr nicht zugesagt? Die Teilnehmenden erarbeiten ihre persönlichen Wertvorstellungen. Dabei definieren sie ihre fünf Grundwerte, die sie im persönlichen Leben, aber auch in der Arbeit benötigen. Diese Werte dienen als Basis dazu, herauszufinden, wo und wann die Balance verloren gegangen sein könnte und wie man diese wiederherstellen und in einer künftigen Aufgabe wirklich leben kann, sowohl im Beruf als auch im persönlichen Alltag. Zusammen mit den Teilnehmenden erstellen wir auch eine Work-Life-Balance-Analyse. Dabei kläre ich, wie viel Zeit die Person benötigt, um sich zu erholen, was ihr guttut. Manche Betroffene können ganz klar definieren, was ihnen guttut. Andere können das nicht. Damit sich die Teilnehmenden selbst besser kennenlernen, unterstütze ich sie mit Fragestellungen wie: Habe ich in meiner letzten Anstellung regelmässig Pausen gemacht? Habe ich zu Mittag gegessen? Wie ging es mir mit meinem Schlaf? Und ich frage nach allfälligen Gründen, die zu einer unbefriedigenden Situation geführt haben. Dies mit dem klaren Ziel, in der Zeit hier bei FAU die gesunde Work-Life-Balance wiederherzustellen und neue Routinen zu schaffen und diese Verhaltensmuster auch zu üben. Damit diese bei einem Arbeitsversuch oder auch bei einer Festanstellung im ersten Arbeitsmarkt weiterhin eingehalten werden können.

Wie erfolgreich ist die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt?
Generell sehr gut. Die Teilnehmenden, die bei mir im Programm waren, sind mehrheitlich in Arbeitsversuchen oder haben neue Festanstellungen gefunden. Ein Burnout zu haben, bedeutet nicht, dass Betroffene ein ganzes Leben darunter leiden. Ganz im Gegenteil. Viele Personen, die sich hier bei FAU oder in einer psychologischen Behandlung intensiv mit sich selber befasst haben, somit ihre Risikofaktoren und Warnsignale besser kennen und Mittel und Wege erarbeitet haben, damit umzugehen, können sich eine optimale Work-Life-Balance schaffen. Was wiederum auch für den Arbeitgeber von Vorteil sein kann. Manche Teilnehmende kommen nach ihrem Burnout wieder auf das gleiche Arbeitspensum wie zuvor. Manche entscheiden sich, nachdem sie ihr Leben neu betrachtet und analysiert haben, für eine Reduktion der Arbeitszeit und können damit eine Verbesserung der Work-Life-Balance erreichen. Sehr wichtig ist aber, dass Burnout-Betroffene den Prozess langsam angehen, also zum Beispiel mit einem reduzierten Arbeitspensum wieder anfangen, nicht gleich in eine 100-Prozent-Anstellung einsteigen.

Ist dies ein feststehender Prozess, oder ist dies von Person zu Person verschieden?
Ich passe den Prozess immer der Person an, aber wir erhal­ten von der Invalidenversicherung bestimmte Vorgaben. Etwa ein Aufbautraining bei uns, ein Arbeitstraining oder ein Arbeitsversuch, oft unterstützt durch begleitendes Coaching. Die Dauer der einzelnen Prozessschritte vari­iert, abhängig von den Bedürfnissen der Teilnehmerin oder des Teilnehmers und den IV­-Vorgaben. Dies mit dem Ziel, dass die Person nachhaltig wieder im ersten Arbeits­markt Fuss fasst.

Was ist Ihr beeindruckendstes Erlebnis als IV-Coach bei FAU?
Da habe ich einige. Die Teilnehmenden arbeiten hier bei FAU intensiv an sich selbst. Zu sehen, wie sie sich Zeit nehmen, sich mit sich und ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen, und dann den Sprung in den Arbeitsmarkt schaffen, ist immer total beeindruckend. Ich erinnere mich an ein Standortgespräch, bei welchem der Arbeitgeber des Arbeitsversuchs voll des Lobes für die teilnehmende Person war. Er rühmte ihre Teamfähigkeit, ihre Arbeitsleistung und ihr Engagement, so sehr, dass auch die betroffene Person richtiggehend gerührt war. Das sind Momente, die mich persönlich glücklich machen. Deshalb schätze ich meine Arbeit so sehr. Und wenn ich zum Teil nach einigen Monaten oder sogar Jahren in einer E-Mail lese, dass es der Person immer noch gut geht, berührt mich das persönlich sehr.

Sehen Sie eine Entwicklung bei Burnouts bezüglich Ursachen, Anzahl oder Schwere
Ich denke zum Beispiel an die Pandemie, die hatte einen grossen Einfluss auf die Leute, auf die psychische Gesund­heit allgemein. Wir hatten einige Teilnehmende, die nach der Pandemie mit einem Burnout dastanden. Niemand hat sich auf diese neue, aussergewöhnliche Situation vor­bereiten können. Und in so einer Extremsituation ein neues Normal zu finden, ist enorm schwierig. In einer solchen Situation ist eine gesunde Work-­Life-­Balance natürlich noch wichtiger als in normalen Zeiten.

Wo kann sich eine Betroffene oder ein Betroffener Hilfe holen?
Eine betroffene Person hat zahlreiche Möglichkeiten. Sie kann sich im Bekannten­ und Freundeskreis austauschen und dort nach Unterstützung suchen. Sie kann den Haus­arzt oder die Hausärztin konsultieren. Diese können eine Zuweisung zu einer Fachperson ausstellen. Wenn das Burnout dazu führt, dass jemand aus dem Arbeitsmarkt herausfällt, kommt die Invalidenversicherung zum Zug, die unterstützend eingreifen kann. Und natürlich finden Betroffene auch Hilfe in einem Programm, wie es von FAU angeboten wird.

Daniela König, FAU-IV-CoachZur Person
Daniela König arbeitet seit 2020 als IV-Coach bei FAU. Sie hat in den USA Psychologie studiert und arbeitete von 2013 bis 2020 in ihrer eigenen Praxis für Psychotherapie in San Francisco. Von 2016 bis 2020 unterrichtete sie zudem als Professorin Angewandte Psychologie am California Institute of Integral Studies in San Francisco.

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