In diversen europäischen Ländern wird die Viertagewoche getestet. Die Gründe für diesen Versuch sind je nach Land unterschiedlich. So auch die Schlussfolgerungen.
Verhilft die Viertagewoche zu einer besseren Work-Life-Balance und steigert die Wettbewerbsfähigkeit bei Fachkräftemangel? Diesen und weiteren Fragen gehen verschiedene Studien nach.
Text NICOLE BIELANDER
Das Viertagemodell wird unter anderem in Schweden, Spanien und Grossbritannien getestet. In Deutschland startet im Februar 2024 ein Pilotprojekt mit 50 Firmen, welche während eines halben Jahres die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich testen. Volksgesundheitliche oder Umweltaspekte stehen nicht in jedem Fall im Vordergrund. Spanien etwa würde sich durch die Einführung der Viertagewoche bei einer Wochenarbeitszeitreduktion von 10 Prozent eine nachhaltige Senkung der Arbeitslosenquote erhoffen. Spanien steht mit 12,7 Prozent, Stand Mai 2023, an der Spitze der europäischen Arbeitslosenstatistik.
Recht auf Viertagewoche in Island und Belgien verankert
Die isländische Regierung führte die Viertagewoche bereits 2021 nach einer rund dreijährigen grossangelegten Feldstudie ein. Belgien zog 2022 nach. Island senkte die traditionelle Fünftagewoche zu 40 Arbeitsstunden bei gleichbleibendem Lohn auf eine viertägige 35-Stunden-Woche. Belgien hingegen behält die 38- bis 40-Stunden-Woche bei. Vollzeitbeschäftigte können dieses Wochenpensum aber von fünf auf vier Arbeitstage reduzieren. In den Vereinigten Arabischen Emiraten gilt seit 2021 offiziell die Viereinhalbtage-Arbeitswoche. Während der Sonntag zum arbeitsfreien Tag erklärt wurde, wird nun am traditionell heiligen Freitag vormittags gearbeitet. Ziel der Umstellung ist eine bessere Arbeitszeitharmonisierung mit den globalen Märkten.
Verschiedenen Studien zufolge sind die sozioökonomischen Auswirkungen der Viertagewoche durchaus positiv. Je nach Studie wurden weniger bis deutlich weniger Fehltage und eine Steigerung der Produktivität und des Mitarbeiterengagements registriert. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die versuchsweise die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich und einer Arbeitszeitreduktion von 10 bis 20 Prozent einführten. Die Wunschdefinition der idealen Viertagewoche besagt, dass das landesübliche Arbeitspensum bei vollem Lohnausgleich reduziert wird, was bisher nur Island auf staatlicher Ebene einführte.
Viertagewoche versus Teilzeitmodelle
Auch in der Schweiz bieten vereinzelte Unternehmen ihren Angestellten versuchsweise oder dauerhaft die Option einer Viertagewoche an, etwa im Gastro- und Hotelleriebereich. Dies aber überwiegend ohne Arbeitszeitverkürzung und bei gleichbleibendem Lohn. Wer Wert auf mehr Freizeit legt oder Betreuungspflichten nachkommen muss, gibt deshalb Teilzeitmodellen den Vorzug. Denn eine 40- oder 42-Stunden-Woche, verteilt auf vier Arbeitstage mit zehn- bis zehneinhalbstündigen Einsätzen zuzüglich Pausen, entlastet das persönliche Zeitmanagement nicht unbedingt. Noch ermüdender und komplizierter wird es, wenn Überstunden hinzukommen.
Kritik an neuem Arbeitsmodell
Kritiker sehen in derart langen Arbeitstagen eine Gefahr, weil sich das Unfallrisiko nach über acht Arbeitsstunden erhöht. Nach zwölf Stunden verdoppelt es sich gar. Das Unfallrisiko steige sowohl bei der Arbeit als auch auf dem Nachhauseweg, hebt etwa die deutsche IG Metall in ihrem Ratgeber hervor. Zudem sei es für betreuungspflichtige Arbeitnehmende trotz des gewonnenen freien Tages schwieriger, die Kinderbetreuung an den längeren Arbeitstagen zu gewährleisten. Und die Schadstoffemissionssenkungen durch einen reduzierten Pendlerverkehr – allein in der Schweiz pendeln 80 Prozent der Berufstätigen – würden durch vermehrte Freizeitaktivitäten zunichte gemacht.
Arbeitszeitreduktion bei gleichbleibendem Lohn und dann auch noch in Zeiten von Fachkräftemangel – dies erachten insbesondere Arbeitgeber als ein nicht praktikables Arbeitsmodell, zumal sich Unternehmen derzeit zusätzlich starken Preis- und Lohnerhöhungen ausgesetzt sehen. Immer umfangreichere Umweltschutzmassnahmen fordern sie zusätzlich. Somit dürfte sich die Viertagewoche mit einem reduzierten Arbeitspensum bei gleichbleibendem Lohn in absehbarer Zeit schwerlich etablieren. Ohne Arbeitszeitreduktion fördert dieses Modell kaum die Volksgesundheit. Längere Arbeitszeiten wegen der Viertagewoche könnten vielmehr die jährlichen Kosten durch Arbeitsausfälle in Milliardenhöhe weiter erhöhen statt senken. Arbeitsbezogener Stress kostet gemäss Job-Stress-Index 2022 allein schon die Schweizer Wirtschaft im Jahr 2022 rund 6,5 Milliarden Franken. Mitarbeitende, die eine kürzere Arbeitswoche haben, fühlen sich hingegen weniger gestresst und sind seltener krank. Das hatten die grossangelegten Experimente in Island bestätigt.
Weiterführende Infos
- Swissinfo: Die Viertagewoche hat es in der Schweiz schwer
- Case Study 04
- Euronews: Vier-Tage-Woche gewinnt in Europa und weltweit an Boden
- kfmv.ch: Vier-Tage-Woche: ein Arbeitsmodell der Zukunft?
- economiesuisse.ch: Ist die 4-Tage-Woche ein Wundermittel?
- AXA KMU-Arbeitsmarktstudie: Potenzial älterer Arbeitnehmender und Frauen wird zu wenig genutzt
- Bundesamt für Statistik: Pendlermobilität