Robot Recruiting
«Wer möchte denn schon von einer Maschine aussortiert werden?»
Robot Recruiting nennt sich die Technologie, die bei einer Jobbesetzung eine erste Sortierung der Dossiers Algorithmen übergibt. Matthias Mölleney, ehemaliger Personalchef von Swissair und HR-Experte, erläutert, wie Robot Recruiting funktioniert – und wie Stellensuchende die Technologie für sich nutzen können.
«Bei der Vorauswahl geht es nur um das Fachliche. Da ist der Roboter unbeirrbar: 1 oder 0»: Matthias Mölleney
Text DAN FURRER
Glaubt man dem kalifornischen Start-up Clearview, ist ihr Algorithmus unser aller Freund und Helfer. Clearview hilft eigentlich bei der Aufklärung von Verbrechen. Mit ihrer Software für Gesichtserkennung hilft die junge Firma, mutmassliche Terroristen, Mörder und andere Verdächtige zuverlässig zu identifizieren. Ein Foto der gesuchten Person reicht. Einmal eingescannt, sammelt die Software in Sekunden alle im Internet verfügbaren Informationen. Der Algorithmus nutzt Big Data und bedient sich munter an Milliarden von Fotos, die er auf Facebook oder Twitter findet, an Urlaubsfotos von Instagram und an jeder auch noch so kleinen Quelle an Informationen in Bits und Bytes. In diesem Kontext betrachtet, erhält der Firmenname gleich eine andere, leicht bedrohlichere Bedeutung.
Nach Recherchen der «New York Times» hat Clearview jetzt ihre Software an Hunderte Institutionen in den USA und Kanada verkauft. «Das Ende der Privatsphäre, wie wir sie kennen», titelte die «New York Times».
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie den Begriff «Robot Recruiting» hören?
MATTHIAS MÖLLENEY: Für mich ist das diese ganze Welt der IT-unterstützten Personalarbeit. Aber ich würde zum Beispiel nie so weit gehen zu sagen, der Roboter macht das ganze Prozedere von A bis Z, und danach arbeiten Menschen im Unternehmen, die zuvor niemand zu Gesicht bekommen hat. Das geht für mich eindeutig zu weit. Google zum Beispiel hat eine klare Regel: Der Konzern evaluiert und nutzt all das, was im Bereich IT-unterstützender HR-Systeme angeboten wird, aber eine Entscheidung über einen Menschen darf nur von einem Menschen getroffen werden. Mir scheint das eine gute Lösung. Als Assistenz ja, aber wenn es darum geht, die finale Entscheidung zu treffen, übernimmt wieder der Mensch. Und zwar nicht nur, weil er das im Moment noch besser kann, behaupte ich mal, sondern einfach aus Respekt und ethischen Gesichtspunkten. Wer möchte denn schon von einer Maschine aussortiert werden?
Die finale Entscheidung findet in Fleisch und Blut statt, hier kommt vor allem die ethische Komponente zum Tragen.
Genau. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel: Moderne Fahrzeuge fahren teilautonom. Aber es ist noch immer so, dass sich niemand in ein Auto setzen würde, das zu 100 Prozent autonom fährt, was auch gar nicht zulässig wäre. Ich komme ursprünglich aus der Luftfahrt. Ich kann mir gut vorstellen, dass irgendwann nur noch ein Pilot im Cockpit sitzt, der sozusagen als Sparringspartner der Systeme agiert. Ich kann mir in absehbarer Zeit nicht vorstellen, dass Menschen in ein Flugzeug einsteigen, in dem kein Pilot im Cockpit sitzt.
Der Pilot als vertrauensbildende Massnahme.
Exakt. Auch wenn ich hundertmal sage, die Maschine macht das alles präziser, zuverlässiger, berechenbarer und kalkulierbarer als jeder Mensch, dann kommt immer «ja aber, es ist eben doch kein Mensch».
Nun wird ja gerade im Bereich Human Resources in weiten Teilen der Pilot aus dem Cockpit entlassen. Der Algorithmus übernimmt. Wie muss ich mir den Einsatz von Robot-Recruiting-Systemen in der Praxis vorstellen?
Es fängt mit der Kandidatensuche an. Wie gehe ich auf den Markt? Auf welchen Markt gehe ich? Wie spreche ich relevante Kandidaten an? So wie früher, als einfach ein Stelleninserat in einer Tageszeitung geschaltet wurde, funktioniert das nicht mehr. Auch Online-Stellenbörsen wie jobs.ch kommen hier an ihre Grenzen. Egal, was für eine Stelle Sie ausschreiben – nehmen wir als Beispiel die Stelle eines Wirtschaftsredaktors –, sie wird nur von Menschen gesehen, die auf Stellensuche sind. Jemand, der als Wirtschaftsredaktor tätig ist, einen guten Job hat und zufrieden ist, wird das Stelleninserat nie sehen. Auf jobs.ch geht man ja nicht, weil man sich langweilt, sondern wenn man eine Stelle sucht. Entweder, weil man keine hat oder unzufrieden mit der aktuellen Position ist. Und das sind jetzt mal geschätzt nur rund 20 Prozent der Gesamtzielgruppe. Den grössten Teil können Sie mit diesen klassischen Instrumenten nicht erreichen. Und wenn sich das mit dem Fachkräftemangel so weiterentwickelt, können sich das immer weniger Branchen leisten. Ich muss also irgendwie auch die verbleibenden 80 Prozent zu erreichen versuchen. Bereits seit längerem bedienen sich die Unternehmen dafür im privaten Netzwerk der bestehenden Mitarbeitenden: Mitarbeitende rekrutieren Mitarbeitende. Und durch die künstliche Intelligenz kommen jetzt eben Algorithmen zum Zug, die systematisch Netzwerke wie LinkedIn, Xing oder Facebook durchsuchen, um dem Auftraggeber Vorschläge für die Stellenbesetzung zu unterbreiten. «Du, da sitzt der Paul, der entspricht zu 75 Prozent deinen Auswahlkriterien, hier ist seine E-Mail-Adresse, schreib ihn doch mal an.»
Das hört sich eigentlich ganz praktisch an.
Das ist ein sehr interessantes Feld, das sich im Moment entwickelt. Hier können mittels Big Data Netzwerke durchsucht, ausgewertet, analysiert und dann gezielt Leute angesprochen werden. Nachdem wir nun das Interesse potenzieller Kandidaten geweckt haben, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die IT einzusetzen. Manche Grossunternehmen operieren bereits mit Scannern, die die fachliche Eignung auswerten können. Welche Qualifikationen muss diese Person haben, welche Kurse, Abschlüsse und Berufserfahrung muss sie vorweisen können? Der Algorithmus serviert dem Unternehmen nun die Kandidaten in geordneter Abfolge nach prozentualer Übereinstimmung mit den geforderten Kriterien. Es geht im Wesentlichen darum, eine relativ stupide, einfache Arbeit wesentlich schneller und effizienter erledigen zu lassen.