Das Phänomen betrifft Mitarbeitende von Ämtern, Schulen, Spitälern, Kleinbüros und auch Grosskonzernen: Mobbing am Arbeitsplatz. Mobbing kann krank machen, und die Fälle häufen sich. 2022 verlor sogar der Grosskonzern Nestlé vor Bundesgericht einen Prozess wegen Mobbings.

Mobbing am Arbeitsplatz kann krank machen. Wie Mobbing erkannt wird, was seine Folgen sind und wie Opfer sich wehren können.

Bei Mobbing wird das soziale und fachliche Ansehen des Opfers angegriffen, indem Täterinnen und Täter dieses lächerlich machen, Gerüchte streuen, abschätzige Bemerkungen platzieren oder Unwahrheiten verbreiten.

Text MARC FEHLMANN
Illustration ANJA PIFFARETTI

Fast zwölf Jahre lang hat Yasmine Motarjemi Nestlé juristisch bekämpft. Die frühere Kaderfrau beim Nahrungsmittelkonzern deckte zahlreiche Mängel in der Lebensmittelsicherheit auf, die von Kadermitgliedern ignoriert worden waren. Das Ganze führte zu einem Spiessrutenlaufen und endete in einer Klage gegen Nestlé wegen systematischen Mobbings. Der Multi wurde ge­richtlich verurteilt, Motarjemi zwei Millionen Franken für Lohnausfall und Schadenersatz zu bezahlen. Nicht nur die Tatsache, dass der Weltkonzern eine Klage wegen Mob­bings vor Bundesgericht verloren hatte, sorgte für Aufse­hen, sondern auch die Dauer des Verfahrens. Die Tatsache belegt, dass Mobbing auf dem Schweizer Arbeitsmarkt existiert, und dies bis ganz weit oben im Management.

Weniger lang als das Bundesgericht im Fall Motarjemi brauchte das Liechtensteiner Obergericht bei der ehe­maligen Aussenministerin Aurelia Frick. Diese wurde von ihren politischen Gegnern mit sexistischer Kritik und dem Vorwurf der Veruntreuung aus dem Amt ge­mobbt, weil sie letztlich zu intelligent und zu erfolgreich war. Zwar wurde Frick im November 2022 vom Vorwurf der Veruntreuung freigesprochen, doch politisch ist sie erledigt.

Die beiden prominenten Mobbingfälle sind keine Aus­nahmen, sondern Spitzen eines konstanten Problems. Dabei nennt das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO in seiner Studie zu Stress auf dem Arbeitsmarkt von 2017 Branchen mit besonderer Mobbinganfälligkeit: jene, die unter Stellenabbau leiden, und die öffentliche Hand. So bestätigt die Basler Fachärztin und Psychosomatikerin Annie Sandberg, dass sie immer wieder Mobbingopfer als Patientinnen und Patienten habe.

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«Häufig trennt sich ein System zur Problemlösung lieber vom Opfer als von den Tätern.»

Strafrechtler Andreas Noll

Wie erkenne ich Mobbing?
Das SECO definiert Mobbing am Arbeitsplatz als Handlungen, die von einer Person oder Gruppe systematisch gegen eine bestimmte Person ausgeübt werden mit dem Ziel, diese aus dem Arbeitsverhältnis zu verdrängen. Dafür gelten folgende Merkmale:

  1. Das soziale und fachliche Ansehen des Opfers wird angegriffen, indem Täterinnen und Täter dieses lächerlich machen, Gerüchte streuen, abschätzige Bemerkungen platzieren oder Unwahrheiten verbreiten, um dem Ruf des Opfers zu schaden.
  2. Dem Opfer werden Informationen oder Arbeitsmittel vorenthalten, welche die oder der Mitarbeitende benötigt, um ihre oder seine Aufgaben zu erfüllen.
  3. Die sozialen Beziehungen des Opfers werden angegriffen: Durch Isolation von Kolleginnen und Kollegen kann die oder der Mitarbeitende anstehende Aufgaben nicht erfüllen.
  4. Die Qualität der Berufs- und Lebenssituation wird angegriffen, indem die oder der Vorgesetzte dem Opfer schikanöse oder erniedrigende Arbeiten zuweist, unrealistisch knappe Mittel zur Erfüllung eines Auftrags bereitstellt, ungerechtfertigte Kritik übt oder wichtige Aufgaben oder Befugnisse entzieht.Die physische und psychische Gesundheit des Opfers wird angegriffen durch Einschüchterung: Dazu gehören die Androhung von körperlicher Gewalt oder der Kündigung sowie sexuelle Belästigung.

Um zu entscheiden, ob bei einer Häufung dieser Merkmale tatsächlich Mobbing vorliegt, ist eine gesamthafte Betrachtung der Situation im zeitlichen Verlauf erforderlich.

Was sind die Folgen von Mobbing?
Sebastian Haas, Psychiater und Schwerpunktleiter für Burnout und Belastungskrisen an der Privatklinik Hohen­egg, sagt: «Über längere Zeiträume hat Mobbing fast im­ mer gravierende Folgen für die Betroffenen, wobei die Art und Ausprägung der individuellen Belastungsreaktion von den Vorerfahrungen und Begleitumständen der Opfer abhängt. Das Perfide daran ist, dass Mobbing regelhaft im Versteckten abläuft und damit eine grössere zerstöre­rische Kraft ausübt. Es gibt kaum ein Opfer, das diese über einen längeren Zeitraum erlebte Form von psychischer Gewalt ohne negative Auswirkungen auf die Gesundheit übersteht. Häufig sind die Opfer traumatisiert. Als Folge können Erschöpfungsdepressionen, bekannt als Burnout, eintreten. Nicht selten versuchen Opfer, ihre Schlafstö­rungen oder andere posttraumatische Stresssymptome mit dysfunktionalen Coping­Strategien, Medikamenten­ oder Alkoholmissbrauch, zu bewältigen.»

Der Strafrechtler Andreas Noll ergänzt, «dass durch das Ausbleiben von Gerechtigkeit die Opfer meistens weder eine juristische noch eine psychische Genugtuung erfah­ren». Und Annie Sandberg doppelt nach: «Eine Entschuldi­gung gibt es nie, denn die Täterinnen und Täter sehen sich immer im Recht.»

Eine weitere Konsequenz von Mobbing ist der Verlust des Arbeitsplatzes. Wegen der entstandenen Rufschädi­gung, wie dies Aurelia Frick widerfahren ist, wird dem Opfer eine adäquate Funktion an einem anderen Arbeits­ort verunmöglicht. Darauf folgt die wirtschaftliche und soziale Abwärtsspirale bis hin zum Wechsel von Wohnort und gesellschaftlichem Umfeld.

Wie kann ich mich gegen Mobbing wehren?
Gemäss Schweizer Obligationenrecht verstösst der Arbeit­geber gegen geltendes Recht, wenn dieser seine Fürsorge­pflicht soweit vernachlässigt oder verletzt, dass dem Arbeitnehmer daraus eine nachhaltige Beeinträchtigung seiner psychischen Integrität entsteht. Allerdings muss der Geschädigte in einem solchen Fall zivilrechtlich gegen den fehlbaren Arbeitgeber klagen.

«Die juristische Schwierigkeit liegt im Nachweis der Kausalität, denn Mobbing ist häufig ein Gruppenphänomen und wird immer versteckt praktiziert. Das heisst, dass nicht nur eine Person verantwortlich gemacht wer­den kann, sondern dass ein Umfeld, das von den Mobbing­handlungen direkt oder indirekt profitiert, für die An­griffe mitverantwortlich ist», sagt Andreas Noll. «Erfolgrei­cher ist eine Klage wegen Verletzung der Fürsorgepflicht des Vorgesetzten. Die offene Konfrontation mit Täterin oder Täter führt hingegen häufig zu einem langwierigen, nervenaufreibenden und kostspieligen Rechtsstreit.»

Anzeichen von Mobbing sollten nicht ignoriert wer­den. Annie Sandberg erzählt zwar, wie sich Patientinnen eine Katze zugelegt haben, um die psychischen Angriffe daheim zu verarbeiten. «Aber eine Katze reicht nicht! Am besten sollte man sich früh nach einer alternativen Arbeitsstelle umsehen, denn der gesundheitliche Schaden wird in den meisten Fällen mit dem Erhalt der Arbeitsstel­le nicht wettgemacht.»

Zudem soll das Mobbingopfer ein Tagebuch führen für den Fall einer juristischen Auseinandersetzung. Darin ist zu dokumentieren, wer der Hauptmobber ist, wer am Mobbing beteiligt ist, wer passiv zuschaut, wie und wann gemobbt wird und wie sich das Mobbing auf Gesundheit und Arbeit auswirkt. Annie Sandberg rät zudem, alle ent­ sprechenden Mails und Schriftstücke auszudrucken und von Textnachrichten Screenshots zu machen. Zu oft sei es vorgekommen, dass aussagekräftige Beweistexte irgend­ wann verschwanden und unauffindbar waren. Das Opfer soll sich zudem Hilfe bei einer neutralen Stelle holen, am besten ausserhalb des Arbeitsplatzes. Betriebsinterne Anlaufstellen haben oft kein Interesse, Mobbingvorwürfe zu klären und Täter beziehungsweise Täte­rinnen zu sanktionieren. «Vielmehr tendieren sie dazu, Mobbingfälle zu marginalisieren», sagt Andreas Noll und fährt fort: «Häufig trennt sich ein System zur Problemlösung lieber vom Opfer als von den Tätern.»

Mobbing

Hier finden Betroffene Hilfe

Hilfe beanspruchen ist kein Zeichen von Schwäche. Betroffene können sich bei der Fachstelle des Bundes für Mobbing und Belästigung mit Standorten in Bern und Zürich melden.

Fachstelle Mobbing und Belästigung
Büro Zürich
Lavaterstrasse 45
8002 Zürich

Büro Bern
Bonstettenstrasse 15
3012 Bern

Telefonzentrale:
+41 44 450 10 16
www.fachstelle-mobbing.ch

Zusätzlich können sich Betroffene bei den kantonalen Ombudsstellen melden:

Basel-Stadt
www.ombudsstelle.bs.ch

Bern
www.bern.ch/politik-und-verwaltung/stadtverwaltung/ombudsstelle

Luzern
www.ombudsstelle-stadt-luzern.ch/

St. Gallen
www.stadt.sg.ch/home/verwaltung-politik/recht-rechtsberatung/ombudsstelle.html

Wenn bereits medizinische Folgen spürbar sind, sollten Betroffene ihren Hausarzt oder ihre Hausärztin aufsuchen, damit eine Zuweisung zu einer geeigneten Fachärztin oder einem Facharzt erfolgen kann.

«blickwinkel»-Ausgabe 17, Herbst 2023: Arbeit, Gesundheit, Krankheit

Dieser Beitrag entstand für die Zeitschrift «blickwinkel», deren Herbstausgabe 2023 sich den Themen Arbeit, Gesundheit, Krankheit widmet.

Von 2015 bis 2023 gab FAU – Fokus Arbeit Umfeld die Zeitschrift «blickwinkel» zweimal im Jahr heraus. Jede Ausgabe konzentriert sich auf ein facettenreiches Thema und beleuchtet es aus unterschiedlichsten Perspektiven. Die einzelnen Ausgaben können zum Preis von CHF 10.– pro Heft inklusive Versand und solange Vorrat nachbestellt werden: Nachbestellung «blickwinkel»

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