Ein Burnout zwang ihn, seinen Traumjob aufzugeben. Er hatte Panikattacken und Herzrasen, Lärm in seinem Kopf und Existenzängste. Er wurde krankgeschrieben und wurde arbeitslos. Doch es gab einen Weg aus dem Tief. Waseem Hussain erzählt, was ihm dabei geholfen hat.
Waseem Hussain findet seine Ruhe und Kraft in der Musik.
Text WASEEM HUSSAIN
Foto MATTHIAS MÜLLER
In einer klaren Mainacht lag ich im Bett. Draussen der stille Wald und drinnen, in meinem Kopf, ein Tosen, so laut, dass mein Atem stehenblieb. «Mitte fünfzig und jetzt dann gleich tot», dachte ich. Ich verlangte von meinen Beinen, mich aus dem Bett zu tragen. Sie weigerten sich. «Merkwürdig», rätselte ich, «wenn ich mein Ende erreicht habe, wieso kann ich noch denken?» Als Antwort fing mein Atem an zu rasen, als gehörte er einem gejagten Tier in freier Wildbahn.
«Mit Ihnen diskutiere ich nicht mehr», sagte meine Hausärztin, als ich am nächsten Tag vor ihr sass. «Panikattacke», befand sie, worauf ich scherzte: «Hoffentlich die erste und letzte», was sie jedoch nicht lustig fand und mich krankschrieb.
Das war im Frühjahr 2022. Im Herbst davor hatte ich auf demselben Stuhl gesessen, ihr beim Stirnrunzeln zugesehen, ihre Stimme gehört, die die Ergebnisse meines jährlichen Check-up kommentierte und mir das Versprechen abnahm, sofort in die Ferien zu fahren. Zwei Wochen, das sei das Minimum. Als wäre ich auf dem Flohmarkt, feilschte ich sie auf zehn Tage herunter. Kaum im Hotel in den Bergen angekommen, klingelte das Handy. Mein Chef wollte Informationen und Entscheidungen, die anscheinend nicht warten konnten.
Mir gelang es nicht, nein zu sagen. Zu mächtig war die über Jahrzehnte bis ins Knochenmark gedrungene Überzeugung, nichts sei wichtiger als Pflicht, Verlässlichkeit und Leistung. Ich arbeitete drei Tage, die Ferien schrumpften auf eine Woche, minus An- und Abreise. Dann, im Januar, plötzliches Herzrasen, gefolgt von Druck in der Brust und Atemnot. Zu meinem Glück ergaben die Untersuche, dass mein Herz kerngesund ist. Ich erschrak dennoch, hörte diesmal auf meine Ärztin und flog für zwei Wochen auf eine Insel, wo ich langsam ass, langsam ging, weder Auto noch Motorroller mietete. Ich schwieg ausgiebig, blickte aufs offene Meer und weinte. Später, nach der Krankschreibung, die sechs Monate dauerte, schrieb meine Psychologin in ihrem Bericht: «Insgesamt zeigte sich die Tätigkeit beim Arbeitgeber für Herrn Hussain als gesundheitsgefährdend.»
Dabei hatte ich einen Traumjob. Im Januar 2021 übernahm ich im Rektorat einer Hochschule die Leitung der Stabsstelle Internationales. Der Auftrag: die internationale Vernetzung ausbauen, innovative Projekte durchführen, die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür begeistern und den Tausenden Studierenden länderübergreifende Möglichkeiten bieten. Das passte gut zu meiner Laufbahn. Bereits in meinen jungen Jahren als Journalist hatte ich hauptsächlich über internationale Themen berichtet und einen Kurs in Auslandsjournalismus aufgebaut. Später, als Dozent, leitete ich interkulturelle Kurse. Im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) förderte ich den wissenschaftlichen Austausch zwischen allen schweizerischen Hochschulen und deren Partnern in neun Ländern.
Um die internationale Strategie meiner neuen Arbeitgeberin umzusetzen, vereinfachten mein Team und ich Abläufe, entwickelten Beziehungen mit internen und externen Stakeholdern weiter und setzten dabei konsequent auf Co-Kreation, Design Thinking und Chancengleichheit. So entstanden breit getragene Ergebnisse, und das Engagement für die Internationalisierung wurde hochschulweit immer stärker. Wir waren erfolgreich, bezahlten dafür aber einen hohen Preis. Denn die Pandemiebewältigung beanspruchte über die Hälfte unserer personellen Kapazität. Meine Abteilung hätte zweieinhalb Vollzeitstellen mehr benötigt, nur um ihren Grundauftrag zu erfüllen. Für unerwartete grössere Aktivitäten, wie Prozessdesign und -implementierung in der Pandemie, für den Zusatzaufwand an Kommunikation, für die komplexen Softwareanpassungen und das damit einhergehenden Projekt- und Qualitätsmanagement. Doch die Hochschulleitung mochte meine Anträge nicht bewilligen. Ich bekam weder die Möglichkeit, zusätzliche Stellen zu schaffen noch unseren Leistungsauftrag zu verkleinern. Also arbeiteten wir weiter, ohne Pausen, dicht, rasant schnell, vollständig und genau.
Ein Fehler, denn dies sandte das Signal aus, dass mehr Personal gar nicht nötig sei. Als der Krieg in der Ukraine ausbrach und wir innert Wochen ein Konzept mitsamt durchdachten Abläufen entwickeln mussten, um geflüchtete Studierende aufzunehmen, geriet nicht nur die Abteilung aus den Fugen, sondern auch mein Leben.